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Viagra als Doping

Wissenschafter wie Nutzer experimentieren und forschen seit den über 20 Jahren Viagra emsig auch jenseits der zugelassenen Einsatzbereiche. Einiges davon hat eher skurrile Züge, anderes gibt Anlass zur Sorge. Mittlerweile wird Viagra als Doping beim Sport eingesetzt. Doch warum? Ab wann bringt Viagra oder Cialis beim Sport etwas? Wir klären auf. 

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    Jens Winkler

    Aktualisiert: 31. Januar 2023 | Medizinisch überprüft von: Klaus Marquardt

    Redaktion

    Viagra zum Sport nutzen?

    Die gefäßerweiternde Wirkung von Viagra auch in Lungenbläschen erhöht die Sauerstoffverfügbarkeit für Muskeln und Co., was es interessant für aerobes Ausdauertraining macht.

    Die berühmte Gießener „Mount Everest Studie“ belegte 2004 tatsächlich: Unter starkem Sauerstoffmangel kann Sildenafil bei gesunden Sportlern die Sauerstoffversorgung, kardiale Leistungsparameter und das Durchhaltevermögen steigern. 

    Etliche nachfolgende Studien konnten diese Ergebnisse indes nie eindeutig bestätigen, die Datenlage ist bis heute extrem inkonsistent. Teils stiegen Schlagvolumen und -frequenz des Herzens, besserten sich die Sauerstoffsättigung und sportlichen Leistungen signifikant – doch offenbar nicht bei jedem und nicht unter normalen Sauerstoffbedingungen. 

    Das hielt bekannte Athleten und Sportler keineswegs davon ab, Doping mit Viagra zu betreiben. Schon damals prüfte die WADA, ob Viagra auf die Dopingliste gehört. Bis heute ist es dort ebenso wenig zu finden wie seine Verwandten PDE-5-Hemmer.

    Eine aktuelle Metaanalyse stellt abermals fest, dass Viagra zwar hervorragend Lungenhochdruck senkt, aber nur mäßig Herzleistung und O2-Sättigung erhöht

    Sport auf Höhenmetern mit Viagra

    Extremklettern als „Hobby“ mit rauer Expeditionsromantik ist für viele Sportler mit viel Ehrgeiz verbunden. Doch ohne Akklimatisation treten schon alpin ab 2500 Höhenmetern milde Sauerstoffmangelsymptome auf: Schwindel, Kopfschmerzen, Herz- und Atembeschwerden, Gangunsicherheit sowie Leistungsminderung sind möglich.

    Ab 4500 Höhenmetern wird es dann schon ernster: Die Sauerstoffsättigung im Blut sinkt massiv, die Lungengefäße kontrahieren und der Blutdruck in der Lunge steigt. Nichts geht mehr. Schlimmer noch, es drohen Ödeme in Hirn und Lunge bis zu Herz- und Lungenversagen. 

    Viagra ist ein beliebtes Mittel, die langwierige Atmungsanpassung HVR (Hypoxic Ventilatory Rate) zu überspringen. Fachleute raten jedoch allenfalls für die Akutbehandlung bei Lungenhochdruck dazu, keinesfalls als Prophylaxe. Denn bisher konnten weder Schutzeffekte noch Sicherheit nachgewiesen werden.

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    Darum nutzen Radsportler Viagra:

    Ein Team von Wissenschaftlern der Stanford University und der Abteilung für Veteranenangelegenheiten des Palo Alto Health Care Systems führte ein Experiment durch, bei dem Radfahrer mit und ohne Viagra, einen identischen Zeit-bis-Erschöpfungstest in der Höhe absolvierten. Im Durchschnitt verbesserte sich die Leistungsfähigkeit bei der Einnahme von Viagra um satte 15 Prozent. Aber das durchschnittliche Ergebnis verschleierte, was wirklich vor sich ging.

    Einige reagierten unglaublich positiv auf Viagra und verzeichneten eine durchschnittliche Verbesserung von 39 Prozent, während andere keine Verbesserung oder sogar einen leichten Leistungsabfall feststellten.

    Warum wirkt Viagra bei Radsport so gut?

    Viagra erweitert die Blutgefäße und greift die Plaque-ähnlichen Flecken an, die sich in den Arterien bilden und Cholesterin anziehen. Diese verursachen Herzkrankheiten und Bluthochdruck und verhindern außerdem, dass Sauerstoff so leicht von der Lunge in die Arterien gelangt. Tatsächlich wurde Viagra ursprünglich als Medikament zur Senkung des Blutdrucks entwickelt, bevor seine anderen Eigenschaften entdeckt wurden.

    „Die Hypothese ist, dass Viagra die Lungengefäße erweitert, wodurch mehr Blut das Herz verlassen kann“, sagte Friedlander. „Es beseitigt auch die ‚Fleckigkeit‘, was bedeutet, dass mehr Sauerstoff von der Lunge ins Blut gelangen kann. Mehr Sauerstoff im Blut und mehr Blut, das gepumpt wird, bedeutet, dass mehr Sauerstoff das Gewebe erreicht und die Leistung gesteigert wird.“

    In der Studie stellten die Radfahrer, die gut auf Viagra ansprachen, fest, dass das Medikament die Blutmenge, die aus ihrem Herzen gepumpt wurde, um 25 Prozent im Ruhezustand und um 32 Prozent während des Trainings erhöhte. Das Schlagvolumen, die Menge an Blut, die bei jeder Kontraktion des Herzens gepumpt wird, war ebenfalls signifikant erhöht. Das Viagra wirkte also teilweise den Auswirkungen der Höhe – Sauerstoffmangel – entgegen und führte dazu, dass der Blutfluss nicht annähernd so stark reduziert wurde, wie es normalerweise der Fall gewesen wäre.

    Dies erklärt auch, warum Viagra auf Meereshöhe nicht wirksam ist. Nur wenn der Blutfluss aus dem Herzen reduziert ist, kann es helfen. Auf Meereshöhe schränkt die Lungenverengung die Leistung nicht ein, da Sauerstoff so reichlich vorhanden ist, dass die roten Blutkörperchen, die den Sauerstoff durch unseren Körper transportieren, vollständig mit Sauerstoff gesättigt werden, unabhängig davon, ob unsere Arterien verengt sind oder nicht. Nur wenn die Luft dünn und der Sauerstoffmangel geringer ist, wirkt sich die Erweiterung der Arterien aus.

    Tauchen und die Dekompressionskrankheit

    Beim schnellen Auftauchen aus größeren Tiefen entstehen Gasbläschen im Blut, welche akute Gasembolien auslösen, die Blutgefäße schädigen und langfristig neurologische Störungen hervorrufen können. Stickoxid NO erweitert (über Aktivierung von cGMP) die Gefäße und reduziert die Bildung dieser Bläschen.

    Französisch-norwegische Forscher untersuchten nun, ob Sildenafil, als Verstärker von NO, bei Ratten präventiv gegen die Dekompressionskrankheit wirkt. Sie entdeckten jedoch das genaue Gegenteil. 34 Prozent der untersuchten Tiere wiesen klare Anzeichen der Taucherkrankheit auf, insbesondere des Nervensystems. In der Kontrollgruppe dagegen nur sechs Prozent.

    Besondere Vorsicht also bei Viagra vor dem Tauchgang!

    Abnehmen mit Viagra?

    An der Universität Bonn entschlüsselten Professor Pfeifer und sein Team 2013, warum übergewichtige Mäuse mit Dauergaben von Viagra abnehmen: Erhöhte cGMP-Spiegel sind die Ursache. Dadurch wandeln sich die weißen Fettzellen in braune um – zumindest bei Labormäusen. Braune Fettzellen verbrennen Kalorien zu Wärme und verschwinden dann einfach.

    Viagra gegen Jetlag?

    Argentinische Hamster demonstrierten 2007 im Rahmen einer Studie, dass sie mit Sildenafil selbst nach sechs Stunden Schlafentzug durch angeschaltetes Licht anschließend noch fit sind im Laufrad. Ihr Schlaf-Wachrhythmus reagierte sensibler auf Lichtwechsel und stellte sich schneller um. Auch hier spielt cGMP die Hauptrolle, dieses Mal in lichtaktivierten Hirnregionen. Die Forschergruppe erhielt für diese Arbeit damals den satirischen Ig-Nobelpreis für Luftfahrt.
     

    Warnung vor unsachgemäßem Viagra-Gebrauch

    Medikamente beim Gesunden haben prinzipiell geringe gewünschte Wirkungen bei stärker ausgeprägten Nebenwirkungen, das gilt auch für Sildenafil: Das Nebenwirkungsprofil zeigt hauptsächlich Herzkreislaufrisiken. Gefährlich wird es auch bei unentdeckten Erkrankungen und unkontrollierbaren Wechselwirkungen, wenn Sie Viagra kombinieren. Es ist aus guten Gründen verschreibungspflichtig.
     

    Unsere Beiträge dienen grundsätzlich lediglich der Information und ersetzen keinen ärztlichen Rat. Die Beurteilung einer eventuellen Erkrankung, der Risiken bei der Einnahme von Medikamenten und anderen Mitteln kann Ihnen nur ein Arzt geben. Alle anderen Wege bergen unkalkulierbare Gefahren.

    Literatur:

    1. Medicated sex in Britain: evidence from the third National Survey of Sexual Attitudes and Lifestyles –ncbi.nlm.nih.gov
    2. Recreational Use of Erectile Dysfunction Medications in Undergraduate Men in the United States: Characteristics and Associated Risk Factors – ncbi.nlm.nih.gov
    3. Does marijuana use play a role in the recreational use of sildenafil? J Fam Pract. 2007 November;56(11):E1-E4 – www.mdedge.com
    4. Phosphodiesterase Type 5 Inhibitors, Sport and Doping – journals.lww.com
    5. Sildenafil increased exercise capacity during hypoxia at low altitudes and at Mount Everest base camp: a randomized, double-blind, placebo-controlled crossover trial. – ncbi.nlm.nih.gov
    6. Die blaue Raute am Mount Everest – pharmazeutische-zeitung.de
    7. Sildenafil improves cardiac output and exercise performance during acute hypoxia, but not normoxia – journals.physiology.org
    8. Can sildenafil improve physical performance at altitude? Current scientific evidence – apunts.org
    9. Sildenafil does not improve performance in 16.1 km cycle exercise time-trial in acute hypoxia – journals.plos.org
    10. Potenzpille Viagra macht Sportler schneller – welt.de
    11. Sildenafil does not reliably improve exercise performance in hypoxia: a systematic review – bmjopensem.bmj.com
    12. Potentially fatal new trend in performance enhancement: a cautionary note on nitrite – ncbi.nlm.nih.gov
    13. Dietary supplement and drug use and doping knowledge and attitudes in Italian young elite cyclists. – ncbi.nlm.nih.gov